Vom Binnenvertrag zum Commoners' Agreement?

Aus der "Alternativwirtschaft" früherer Jahre stammt die Praxis, dass Kollektive die Grundlagen ihrer Zusammenarbeit in einem internen Statut regeln. Solche "Binnenverträge" sollen oft bewusst als Gegenbild zum "offiziellen" rechtlichen Vereinbarungen (Satzungen, Gesellschaftsverträge) die "eigentliche" Grundlage eines Betriebs oder einer Gemeinschaft festhalten. Das ist u.a. bei Kollisionen mit der Rechtslage problematisch (vgl. dazu Rupay Dahm in der CONTRASTE 2019: http://bis201908.contraste.org/index.php?id=397).

Die DFG-Forschungsgruppe "Recht – Geschlecht – Kollektivität" greift die rechtskritischen Erkenntnisse und Anliegen hinter Binnenverträgen auf und gelangt zur konzeptionellen Idee des "Commoners' Agreement".

Ich verstehe das so: Wie im "Gentlemen's Agreement" entsteht Verbindlichkeit auch hier jenseits formal-staatlicher Regelungen, aber wird dort durch "Commoning" bewirkt, also nach Mustern gemeinsamen Handelns jenseits von Staat und Markt (vgl. Teil 3 in Bollier & Helfrich 2019: https://band3.dieweltdercommons.de/). Der Bezug auf die Muster des Commoning weist über den klassischen Binnenvertrag hinaus und öffnet die Perspektive u.a. auf

  1. die Offenheit der Vereinbarung, also das "Gemeinsame" im Gegensatz zur geschlossenen Gemeinschaft: Sie kann auch Kooperationspartner*innen und andere Beteiligte außerhalb einer Gemeinschaft verbinden;
  2. die Einbettung der Vereinbarung im "Außen", also die Verortung im Umfeld im Gegensatz zur Konzentration auf das Innenleben einer Gemeinschaft: Sie zeigt auch eine kooperative Haltung zu Wirtschaftspartner*innen und der nicht-menschlichen Mitwelt;
  3. den Schutz vor kooperationshemmenden Einflüssen, also eine Stärkung von Schnittstellen und "Membranen" im Gegensatz zur Ausblendung äußerer Einflüsse: Sie bemüht sich insbesondere um Kongruenz von inneren Vereinbarungen und Außenbeziehungen, insbesondere im Verhältnis zur formalen Rechtslage.

Dementsprechend werden die "Commoner" weder die rechtlichen Konsequenzen ihrer Vereinbarung ignorieren noch dem "Rechtsfetisch" verfallen. Auch zur Regelsetzung werden sie sich selbst aneignen (müssen), was für ihre Zwecke notwendig ist. Dazu gehört, hilfreiche Rechtsgedanken auf ihre Situation zu übertragen und Hindernisse durch "legal hacking" zu überwinden. Dafür wird der Austausch mit Anderen nötig sein und Formen, wie über eine Gemeinschaft hinaus Rechtswissen kooperativ produziert und weitergegeben werden kann. Für dieses "Recht als Commons" werden sich auch neue Formen entwickeln, also zB die vereinbarten Regeln mehr-als-schriftlich festgehalten und die Abläufe (Versammlungen und Vertragsabschlüsse) anders verkörpert werden.

Der Begriffsvorschlag ging von diesem Blogpost des Teilprojekt "Mit Recht und jenseits des Rechts. Feministische Perspektiven auf Urban & Housing Commons" aus:
https://genderblog.hu-berlin.de/commons-brauchen-geschlechterforschung-plaedoyer-fuer-einen-feministischen-ansatz/